Ein kleiner Ausblick auf die Betreuungsrechtsreform 2023:
Regelungen des Betreuungsrechts im BGB waren bislang gekoppelt an die Vorschriften des Vormundschaftsrechts. Ab 01.01.2023 ist das Betreuungsrecht nun in den §§ 1814 -1881 BGB zu finden.
Marginal ist der Wunsch des Gesetzgebers nach Qualitätssicherung. Das bedeutet für die hauptamtlich tätigen Betreuer, die weniger als 3 Jahre Betreuungen führen, die Erbringung eines Sachkundenachweises, dann geregelt im BtOG (Betreuungsorganisationsgesetz).
Im Ehrenamt soll die Sachkunde durch den Besuch von Einführungs- und Fortbildungsveranstaltungen der Betreuungsvereine sichergestellt werden. Das Mittel zum Zweck sind Vereinbarungen, die ab Januar 2022 zwischen dem Ehrenamtler und dem Verein abzuschließen sind und in denen sich die Vereine zu entsprechenden Angeboten und die Ehrenamtler sich zur Teilnahme an den Angeboten verpflichten.
Diese Vereinbarungen betreffen aber nur die sog. Fremdbetreuer. Familienbetreuer (Ehegatten, Kinder, Eltern, Geschwister, § 1859 BGB ) sind davon ausgeschlossen.
Fremdbetreuer, die jetzt schon Betreuungen führen, müssen die Vereinbarung aber nicht im Januar schließen, sie können das dann tun, wenn die nächste Betreuungsverlängerung ansteht. Da es sich um eine sogenannte Sollvorschrift handelt, wird letztlich das Gericht entscheiden, ob es eine Betreuungs- und Unterstützungsvereinbarung für erforderlich hält. Dies sollte gegebenenfalls auch mit dem Richter diskutiert werden.
Außerdem können sie dann vom Fremdbetreuer zum Familienbetreuer werden, wenn sie eine enge persönliche Beziehung zu ihrem Betreuten haben.
Marginal ist weiter der Wunsch des Gesetzgebers, die Autonomie der Betreuten weiter zu stärken. Deshalb betont das Gesetz Wunsch und Wille des Betreuten, § 1821 BGB. Die rechtliche Betreuung gibt den Betreuern die Möglichkeit rechtsverbindlich für die Betreuten zu handeln und gegebenenfalls auch Rechtsentscheidungen zu ersetzen, § 1823 BGB. Dies soll nach dem Willen des Gesetzgebers künftig aber nur noch in Einzelfällen geschehen, §§ 1821 Abs. 1 BGB. Stattdessen, so lautet das neue Schlagwort, soll die unterstützte Entscheidungsfindung in den Vordergrund treten. Dabei geht es vor allem darum, die Betreuten darin zu unterstützen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und umzusetzen. Die Entscheidungsfindungen, um die es hier geht, sind aber nur solche, die im Rahmen der rechtlichen Betreuung eine Relevanz haben.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Wünsche und den Willen der Betreuten unter Berücksichtigung des bisherigen Lebenswandels, der Präferenzen und Werte anhand von Gesprächen zu klären und den Betreuten Informationen über die relevanten rechtlichen Vorschriften zukommen zu lassen.
Freier Wille – Natürlicher Wille – Mutmaßlicher Wille:
Freier Wille: jede volljährige gesunde Person ist fähig zur freien Willensbildung, d.h. sie kann innerhalb einer Entscheidungsfindung das Für und Wider abwägen und so zu einer möglichst rationalen Entscheidung gelangen. Die Grundlage für den freien Willen ist die Einsichtigkeit und weitere kognitive Fähigkeiten wie das Erkennen von Bedeutungszusammenhängen. Das Ergebnis einer solchen freien Willensbildung ist grundsätzlich zu akzeptieren, d.h., solange ein Betreuter in diesem Sinne seinen freien Willen bilden kann, entscheidet er selbst.
Natürlicher Wille: das Abwägen des Für und Wider zu einzelnen Sachverhalten gelingt nicht mehr, weil z.B. die kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt sind. Die betroffene Person kann aber dennoch ihren Willen bekunden, verbal oder durch Gesten oder Handlungen. Auch dem natürlichen Willen ist so weit wie möglich nachzukommen, da jeder Mensch ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hat (BGH Urteil aus 2013).
Kann weder ein freier noch ein natürlicher Wille ermittelt werden, so ist der mutmaßliche Wille des Betreuten zu erforschen, § 1821 Abs. 4 BGB. Dieser ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, wobei frühere Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten zu berücksichtigen sind. Auch soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden.
ABER, den Wünschen und dem Willen des Betreuten ist dann nicht zu entsprechen, wenn
- die Erfüllung des Wunsches den Betreuten (Gesundheit und Vermögen) erheblich gefährden würde
- oder seine gesamte Lebens- und Versorgungssituation erheblich gefährden würde
- oder dem Betreuer die Erfüllung des Wunsches nicht zumutbar ist (illegale und sittenwidrige Wünsche)
d.h., in diesen Fällen muss der Betreuer die Erfüllung des Wunsches verweigern.
4 denkbare Fälle im Zusammenhang mit der Verwendung des eigenen Vermögens
- Betreuter entscheidet mit freiem Willen und kann allein handeln. Entstehen dadurch Gefährdungen für die finanzielle Grundsicherung, muss Betreuer Einwilligungsvorbehalt beantragen: Mitteilung ans Gericht und Antrag auf Einrichtung Einwilligungsvorbehalt.
- Betreuter entscheidet mit freiem Willen, muss aber zur Umsetzung vertreten werden. Entstehen dadurch Gefährdungen für die finanzielle Grundsicherung oder die Gesundheit, muss Betreuer die Mitwirkung verweigern: Mitteilung ans Gericht.
- Betreuter entscheidet mit natürlichem Willen, wenn dadurch keine Gefährdung entsteht, muss der Betreuer den natürlichen Willen umsetzen: evt. sicherheitshalber Mitteilung ans Gericht.
- Betreuter entscheidet mit natürlichem Willen, wenn dadurch eine erhebliche Gefährdung entsteht, muss der Betreuer seine Mitwirkung verweigern: Mitteilung ans Gericht.
Ist der Aufgabenkreis der Vermögenssorge eingerichtet und der Betreute verwaltet einen Teil seines Vermögens selbst, so hat der Betreuer dies dem Betreuungsgericht mitzuteilen. Der Betreuer sollte eine Erklärung des Betreuten beifügen, aus der hervorgeht, dass der Betreute einen Teil seines Vermögens selbst verwaltet. Ist eine solche Erklärung des Betreuten nicht erhältlich, kann der Betreuer die Richtigkeit der Mitteilung, dass der Betreute einen Teil seines Vermögens selbst verwaltet, an Eides statt versichern.
Betreffen die Wünsche des Betreuten auch die Verwaltung seines Vermögens, hat der Betreuer dem Gericht anzuzeigen, wenn er den Wünschen des Betreuten nicht folgt. Dabei hat der Gesetzgeber Grundregeln der Verwaltung aufgestellt, die der Betreuer zu beachten hat.
Grundregeln der Vermögensverwaltung sind:
- 1840 BGB: im Regelfall soll der Zahlungsverkehr bargeldlos laufen, d.h., es ist ein Girokonto einzurichten; will der Betreute mehr Bargeld als üblich zu Hause haben: Mitteilung ans Gericht,
- 1839 BGB: auf dem Girokonto soll immer genügend Verfügungsgeld in der Höhe der laufenden Kosten sein, aber auch nicht mehr; will der Betreute dort mehr Geld haben: Mitteilung ans Gericht
- 1841 BGB: Anlagepflicht; Geld, das kein Verfügungsgeld ist, soll angelegt werden; will der Betreute sein gesamtes Geld auf dem Girokonto haben: Mitteilung ans Gericht
Hinsichtlich des Anlagegeldes ist eine Sperrvereinbarung mit dem Kreditinstitut zu schließen, d.h., Verfügungen können dann nur mit Genehmigung des Gerichts erfolgen
Ausnahme: befreite Betreuer = Vereins- und Behördenbetreuer und Familienbetreuer
- 1842 BGB Sicherungseinlagen der Kreditinstitute sind zwingend nachzuweisen, will der Betreute andere Anlagenformen bei Banken, die diese Sicherungseinlagen nicht nachweisen können: Mitteilung ans Gericht
- 1843 BGB Hinterlegung von Wertpapieren im Sinne des § 1 Absatz 1 und 2 des Depotgesetzes bei einem Kreditinstitut. Will der Betreute die Wertpapiere z.B. zu Hause aufbewahren: Mitteilung ans Gericht
Hinsichtlich der Wertpapiere im Sinne des § 1 Absatz 1 und 2 des Depotgesetzes ist eine Sperrvereinbarung mit dem Kreditinstitut zu schließen, d.h., Verfügungen können dann nur mit Genehmigung des Gerichts erfolgen
Ausnahme: befreite Betreuer = Vereins- und Behördenbetreuer und Familienbetreuer
Neben der Mitteilung des Wunsches des Betreuten an das Betreuungsgericht, hat der Betreuer dem Gericht auch mitzuteilen, wie er die Gefahrensituation einschätzt, d.h., ob er denkt, dass das von den Grundregeln der Verwaltung abweichende Verhalten des Betreuten diesen in seiner Person oder seinem Vermögen gefährdet.
Entscheidung des Gerichts:
es muss eigene Ermittlungen einleiten,
muss beurteilen, ob freier oder natürlicher Wille vorliegt (liegt eine echte Selbstbestimmung vor oder nur ein krankheitsbedingter Wille)
liegt bei Erfüllung der Wünsche eine Gefährdung vor
persönliche Anhörung ist i.d.R. erforderlich
Entscheidung ist dann:
- Wünsche werden akzeptiert; Mitteilung an die Beteiligten
- Wünsche sind nicht akzeptabel, Beschluss mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung
Der Maßstab der Entscheidung des Gerichts ist wieder § 1821 BGB; eine Ablehnung ist nur möglich, wenn der Wunsch des Betreuten erheblich selbstschädigend ist und der Betreute das nicht erkennen, bzw. nicht nach dieser Erkenntnis handeln kann.
Mitteilungspflichten ans Gericht:
- bei Beendigung einer Unterbringungsmaßnahme, § 1831 Abs. 3, S. 2; Abs. 5BGB
- bei Widerruf der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung, § 1832 Abs. 3, S. 2 BGB
- bei bestehender Absicht, vom Betreuten selbst genutzten Wohnraum aufzugeben, unter Angabe der Gründe und Sichtweise des Betreuten, § 1833 Abs. 2, S. 1 BGB
- bei sonstigen Umständen, die zur Aufgabe dieses Wohnraums führen können und Angabe der vom Betreuten beabsichtigten Maßnahmen, § 1833 Abs. 2, S.2 BGB
- bei der Eigenverwendung von Vermögen des Betreuten, soweit dem ein zwischen Betreutem und Betreuer abgeschlossener Vertrag zugrundeliegt und unter näheren Angaben zu diesem Vertrag, § 1836 Abs. 2, S. 3 BGB
- bei jeder Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zur Verwaltung von Geld und Wertpapieren und Angabe der Gründe hierfür und der Wünsche des Betreuten, § 1838 Abs. 2 S.1 BGB
- bei jeder Eröffnung eines Girokontos mit Anfangskontostand, §1846 Abs.1Nr.1 BGB
- bei jeder Eröffnung eines Anlagekontos mit Anfangskontostand und Zinsvereinbarung sowie der Angabe, ob es sich um ein Verfügungskonto oder ein Anlagekonto handelt, §1846 Abs.1Nr. 2, Abs. 2, Nr. 2 BGB
- bei der Eröffnung eines Wertpapierdepots mit Art, Umfang und Wert der in das Depot eingebrachten Wertpapiere, § 1846 Abs. 1, Nr. 3, Abs. 2, Nr 3 BGB
- beim Einlegen eines Wertpapiers in ein Bankschließfach mit Angabe von Art, Umfang und Wert § 1846 Abs. 1, Nr. 3, Abs. 2, Nr. 3 BGB
- bei jeder anderweitigen Verwaltung eines Wertpapiers für den Betreuten unter Angabe der Art der Verwahrung und der Gründe, aus denen das Einbringen in ein Depot oder Schließfach nicht tunlich ist § 1846 Abs. 4, Nr. 3, Abs. 2, Nr. 4 BGB
- bei getroffenen Sperrvereinbarungen § 1846 Abs. 2, Nr. 5 BGB
- bei der Aufgabe eines dem Betreuten gehörenden Erwerbsgeschäfts sowie bei der Eröffnung eines Erwerbsgeschäfts unter Angabe von Art und Umfang § 1847 BGB
- bei jeder wesentlichen Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse § 1864 Abs. 1 BGB, wozu z.B. auch Umstände gehören, die die Aufhebung der Betreuung oder eines Einwilligungsvorbehalts oder die Einschränkung von Aufgabenkreisen gehören § 1864 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, Nr. 2 BGB, ebenso wie Umstände, die die Erweiterung der Aufgabenkreise, die Bestellung eines weiteren Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts betreffen § 1864 Abs. 2, S. 2 Nr. 3 – 5 BGB. Eine wesentliche Änderung in diesem Sinne ist alles, was ein Tätigwerden der Gerichte erforderlich machen kann.
Berichte, § 1863 BGB
- Anfangsbericht: Berufsbetreuer, Vereinsbetreuer, ehrenamtliche Fremdbetreuer
innerhalb von 3 Monaten nach Bestellung, soll persönliche Situation des Betreuten und seine Wünsche und Ziele beschreiben, auch geplante oder schon durchgeführte Maßnahmen, hier auch darstellen, wie Vermögenssorge geplant ist, verwaltet der Betreute seine Konten selbst, was soll der Betreuer machen, mitteilen, was zwischen Betreutem und Betreuer vereinbart wurde; Vermögensverzeichnis ist beizufügen
- Anfangsbericht: Ehrenamtliche Familienbetreuer
Es ist kein Anfangsbericht zu erstellen, vielmehr soll das Gericht mit dem Betreuten, soweit dieser das wünscht, ein Anfangsgespräch führen und dabei die unter 1. beschriebenen Dinge ermitteln; der ehrenamtliche Betreuer soll an diesem Gespräch teilnehmen. Vermögensverzeichnis ist einzureichen.
- Jahresbericht: alle
es ist zu berichten zur persönlichen Situation, Umfang und Anlass der persönlichen Kontakte, der persönliche Eindruck, Umsetzung der bisherigen Ziele, Darstellung der bereits durchgeführten und auch der beabsichtigten Maßnahmen, weitere Erforderlichkeit der Betreuung, Sichtweise des Betreuten zu allen Punkten
- Schlussbericht: alle
Es ist ein abschließender Bericht zu erstellen, in dem die seit dem letzten Jahresbericht eingetretenen Änderungen mitzuteilen sind. Es sind auch Angaben zur Herausgabe des der Verwaltung des Betreuers unterliegenden Vermögens des Betreuten zu machen, sowie aller durch die Betreuung erlangten Unterlagen
Merken: es ist grundsätzlich über alle „wichtigen Dinge“ unaufgefordert zu berichten, vor allem, wenn Wünschen des Betreuten nicht entsprochen werden kann.
Ehegattenvorsorge ab Januar 2023
- Das Gesetz zum Ehegatten Notvertretungsrecht tritt zum Januar 2023 in Kraft.
- Ehegatten und Partner eingetragener Lebensgemeinschaften dürfen den jeweils anderen in Themen der Gesundheitssorge vertreten, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, selbst Entscheidungen zu treffen.
- Die Ausübung des Vertretungsrechts setzt eine Bescheinigung des behandelnden Arztes
- Das automatische Vertretungsrecht kann nicht auf andere Familienmitglieder (z.B. erwachsene Kinder) übertragen werden.
- Dauert die Einwilligungsunfähigkeit des Partners länger als 6 Monate, muss das Betreuungsgericht einen Betreuer bestellen.
- Hat man bereits proaktiv eine rechtswirksame Vorsorgevollmacht erteilt, bleibt deren Wirkung erhalten, das gesetzlich geregelte automatische Vertretungsrecht des Partners kommt für diesen Fall nicht zum Tragen.
Ehrenamtspauschale
Die Ehrenamtspauschale steigt ab Januar 2023 auf 425 Euro; bei Übergangsfällen bestimmt sich die Pauschale nach Fälligkeitsdatum.
Bei Beendigung der Betreuung: anteilige Pauschale, § 1878 III S. 2 BGB, ein angefangener Monat gilt als voller Monat (bislang tageweise Abrechnung)
Frist zur Geltendmachung der Pauschale: 6 Monate nach Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, § 1878 IV S. 1 BGB, also bis 30.06. des Folgejahres (bisher 3 Monate)
Antrag auf Zahlung der Pauschale ist einmal zu stellen, dann gilt der jeweilige Jahresbericht als Folgeantrag, § 1878 IV S. 2 BGB, ist der Jahresbericht zu spät, erlischt der Anspruch, Antrag kann aber auch unabhängig vom Jahresbericht gestellt werden. Gilt auch für Verfahren, die vor dem 01.01.2023 anhängig waren.